Die Schlüsseletappe der VAV (Via Alta Verzasca) ist jene von der Capanna Cógnora in die Capanna Efra. Es gilt drei Gipfel zu erklettern und ein paar heikle Stellen zu überwinden. In Richtung Nord nach Süd, also in derjenigen Richtung die wir vorhatten, kann das Steinschlag-Couloir des Madom Gröss im Aufstieg absolviert werden. Deshalb hatte ich diese Etappe so geplant und es sollte sich als richtig erweisen.

Anfangs der Tour hatten wir noch zwei Begleiter: Eugen und Sarah wollten auch in die Efra und starteten etwa 20 Minuten nach uns. Da wir wussten, wie langsam man in diesem Tessiner Via Alta Gelände vorwärtskommt, starteten wir schon um 7 Uhr 30, noch bevor die Sonne am gegenüberliegenden Talhang aufgegangen war. Das liess uns genügend Zeit bis zur Efra. Bis zum Pizzo di Mezzodì (auf Deutsch wäre das wohl das «Mittaghorn») ging es 800 Höhenmeter steil und steinig aufwärts. Im Schatten und in der Morgenkälte nicht der schönste Teil des Tages. Zu allem Überfluss lag im Schlussteil zum Pässchen Neuschnee. Allerdings liess sich dieser gut begehen. Da der Gipfel nur ein kleiner Abstecher war, liess ich mich nicht von seinem Besuch abhalten. Aber Jacke, Handschuhe und Stirnband waren immer noch notwendig. Schon von hier präsentierte sich das gesamte Schweizer Alpenpanorama vom Monte Rosa im Westen, über die Berner und Urner Alpen im Norden bis zum Piz Bernina im Osten. Eine eindrückliche Schau fürwahr!

Ab dem Mezzodì war der Weiterweg nun genussvoller und angenehmer. Man geht fast durchwegs über den Grat, ist an der Sonne und hat atemberaubende Tief- und Ausblicke. Die VAV ist in diesem Abschnitt sehr attraktiv und bei Schwindelfreiheit genussvoll. Eugen und Sarah entschlossen sich zur Umkehr: ihnen war das offenbar zu rauh und abenteuerlich. Jetzt waren wir mutterseelenalleine unterwegs. Wie schon eingangs erwähnt, ist der Schlüsselabschnitt jener auf den Madom Gröss. Es geht über ein paar Grattürme und in Scharten hinab, das Ganze ab und zu durch Eisenbügel entschärft. Durch das nachfolgende Couloir klettert man sehr steil auf den zweiten Gipfel. Felice hatte Glück mit einem losen Stein, der sie fast aus dem Gleichgewicht geworfen hätte und eine Schramme an der Hand hinterliess. Ich kramte das mitgeführte Seil hervor und sicherte damit ein paar Stellen zusätzlich. Zirka fünf Stunden nach unserem Aufbruch von der Cógnora hatten wir den Gipfel des Madom Gröss erreicht. Auch hier oben gekrönt von einer Aussicht, die einfach nur bombastisch war.

Zum Glück sah nun der Weiterweg einfacher und weniger kompliziert aus. Zum dritten Gipfel hinüber, dem Pizzo Cramosina, war es abgesehen von einer seilgesicherten Scharte ziemlich easy. Wir genossen eine fast windstille Pause und veranschlagten den Weiterweg zur Capanna Efra mit etwa zwei Stunden. Das war leider etwas zu optimistisch. Der Abstieg und der spätere Flankenmarsch brauchten Zeit. Aber dann trafen wir endlich auf Efra ein. Wie die Cógnora ist auch diese Hütte eine Belohnung für einen langen Kraxeltag. Malerisch gelegen, super eingerichtet und von perfekt in die Umgebung eingepasster Architektur. Es gab Pasta mit getrockneten Tomaten und frischen Meeresfrüchten zum Znacht – ebenfalls noch mitgebracht aus Italien. Ich kann mir keinen schöneren Ort vorstellen, solche Leckereien zu geniessen, als eine Hütte des S.E.V. (società escursionistica verzaschese). Die übrigen fünf Hüttengäste waren sehr angenehme Leute, was im Gegensatz zu gestern auch die Stimmung im Innern der Hütte auf hohem Niveau liess.