Die Pointe de Foglietta mit ihrem regnerischen Tourenabschluss waren heute Morgen ebenso Geschichte wie bedeckter Himmel und Ausruhezeit im Chalet. Ein stahlblauer Himmel lachte. Zudem hatten sich Dani und Didi gestern sehr verdankenswerterweise darum gekümmert, herauszufinden, ob die Strasse hinter Bonneval-les-Bains noch weiter befahrbar war und einem näher an den Schnee brachte. Im grössten Regen waren sie gestern Nacht auf dieser sehr engen Strasse bis auf 1500 Meter hochgefahren und berichteten, dass dort der Schnee begänne und man fellen könne. Einzig der über Nacht gefallene Neuschnee konnte die Auffahrt noch vermasseln. Er erwies sich als problemlos, da er auf 1500 Metern nur in geringer Menge vorhanden war. Wir brachten also diese abenteuerliche Strecke hinter uns und wollten gerade loslaufen, als Jürg berichtete, ein Pin seiner Bindung sei rausgefallen. Das konnte auf die Schnelle nicht repariert werden. Schweren Herzens fuhr er wieder ins Tal um Ski zu mieten und liess uns ziehen. 

Es war ein kalter, sehr schöner Bergmorgen mit frisch verzuckerten Bäumen und Wiesen. Unser Tourenziel liessen wir noch offen: in Frage kamen die Grandes Aiguilles oder der Mont Miravidi. Drei andere Tourenfahrer strebten einem Vorgipfel der G. Aiguilles entgegen, den später auch Jürg besteigen sollte. Wir aber verfolgten das Strässchen ins Tal hinein, wo es alte Abfahrtsspuren gab und die Bergwahl offen blieb. 

Gefroren hatte es über Nacht nicht und die paar cm Neuschnee sollten bald ein grösseres Problem mit Stollen produzieren. Beim "Fenêtre" fanden wir den Durchschlupf durch einen felsigen Abschnitt. Er sah von unten schwieriger aus als er sich entpuppte. Auf der Quote 2000 mussten wir uns entscheiden: Miravidi oder Aiguille des Veis. Angesichts des Nassschnees unterhalb des Neuschnees und der steilen Hänge Richtung Miravidi entschieden wir uns für die Veis. Dort hinauf gab es laut Online-Karte von Whiterisk keine Hänge über 30° und es lockte ein schöner Gipfel. Im Nachhinein beurteilt war die übertriebene Vorsicht unnötig: die Hänge erwiesen sich als stabil und auch der Miravidi wäre eine ungefährliche Wahl gewesen. 

Nach der Pause kämpften alle mit mehr oder weniger grossen Stollen an den Fellen. Zudem war es sehr warm geworden und unsere Formkurven noch nicht auf dem Höhepunkt. Ich war nicht der einzige, der sich den Gipfelhang erkämpfen musste. Aber es lohnte sich: Die Aiguille des Veis erwies sich als erstrangiger Aussichtspunkt. Der nahe Mont Blanc alias Monarch präsentierte sich in voller Pracht samt seinen Vasallen Aiguille Verte, Dent du Géant und Grandes Jorasses. Die Walliser Alpen präsentierten sich von ihrer Südseite mit Grand Combin, Matterhorn, Dent Blanche und der Monte Rosa Gruppe. Im Tal von Bourg-Saint-Maurice hatte sich eine pittoreske Nebeldecke gebildet und darüber thronten die höchsten Berge der Vanoise: Mont Pourri, Grande Sassière, Grande Casse und so weiter. Auch ein paar Gipfel unserer Vanoise-Tourenwoche anno 2019 konnten wir bestimmen. 

Für die Abfahrt wählten wir die Hänge etwas westlich unseres Aufstiegs. Dies war eine direktere Linie und vermied Flachstücke und Gegenanstiege. Das Schwingen war in den ersten 1100 Höhenmetern wunderbar. Beste Schneeverhältnisse und Endlosschlangenlinien zierten nach unserer Fahrt die Hänge. Es war niemand sonst unterwegs - alle Hänge konnten wir somit erstbefahren und geniessen. Nach diesem oberen Stück war dann der Schnee viel zu weich. Aber das machte nichts, weil wir sowieso dem Weg folgen mussten, um zu den Autos zurückzugelangen. Dort trafen wir Jürg, der es doch auch noch auf Tour geschafft hatte, nachdem er Mietski organisieren konnte. Ein paar Bierchen auf unserer sonnigen Chalet-Terrasse rundeten die Tour ab, die uns komplett zufriedengestellt hatte. Zumal man von den Schlafzimmerfenstern unseren heutigen Gipfel nochmals sichten und natürlich plagieren konnte.